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3 Modellierung des Strahlungstransportes

Die Modellierung des Strahlungstransportes in der Atmosphäre soll zwei Aufgaben erfüllen. Erstens ist die Messung des AVHRR zu simulieren, um einen Algorithmus zur Bestimmung der Wolkenbasistemperatur zu entwickeln. Zweitens muß abgeschätzt werden, welchen Einfluß die Temperatur der Wolkenbasis auf die Strahlungsflußdichten an der Ozeanoberfläche hat.

3.1 Strahlungsübertragung in der Atmosphäre

Die Trennung zwischen kurzwelligem (solarem) und langwelligem (terrestrischem) Strahlungsbereich wird in der Literatur (GOODY, 1964; BAKAN und HINZPETER, 1988) bei einer Wellenlänge von 4 mm vorgenommen. Dieser Grenzwert wird benutzt, weil bei kürzeren Wellenlängen in Erdnähe die von der Sonne kommende Strahlungsflußdichte größer ist als die terrestrische, während sie bei c > 4mm kleiner ist.
Wolken beeinflussen die Strahlungsflußdichten in beiden für die Troposphäre wichtigen Spektralbereichen: Einerseits reflektieren sie die kurzwellige Sonnenstrahlung stark, so daß ihre Anwesenheit die Atmosphäre kühlen könnte. Andererseits erwärmen sie diese, da sie die vom warmen Ozean emittierte Strahlung im Langwelligen absorbieren und selber mit geringerer Temperatur wieder abstrahlen. Der Nettoeffekt von Wolken kann also nur durch Betrachtung des Kurz - und Langwelligen bestimmt werden. Jedoch ist die Berechnung der kurzwelligen Strahlungsflußdichten gerade in Fällen mit durchbrochener Bewölkung nur mit starken Vereinfachungen und aufwendigen Rechenmodellen wie der Monte-Carlo-Methode möglich (KITE, 1987). Da zudem die Wolkenbasistemperatur nur für die langwellige Strahlungsflußdichte von Bedeutung ist, wird in dieser Arbeit nur die langwellige Strahlungsübertragung genauer betrachtet.
3.1.1 Grundbegriffe
Zur Vermeidung von Mißverständnissen werden die hier wichtigen Strahlungsgrößen mit den verwendeten Einheiten angegeben. Soweit wie möglich geschieht dies in Anlehnung an die Empfehlungen von BAKAN und HINZPETER (1988) sowie RASCHKE (1978).
Die Strahlungsflußdichte F [ Wm-2 ] ist die pro Zeiteinheit durch die Einheitsfläche aus allen Richtungen hindurchtretende Strahlungsenergie.
Als Strahldichte I [Wm-2sr-1] bezeichnet man den Teil der Strahlungsflußdichte , der die Einheitsfläche aus dem Einheitsraumwinkel W erreicht.
Wellenlängen c werden in mm angegeben, Wellenzahlen n in cm-1. Auf Wellenlängen- bzw. Wellenzahlintervalle (Dc und Dn) bezogene Größen werden spektral genannt. Die Einheiten ändern sich dann entsprechend, so daß die spektrale Strahldichte z.B. die Einheit W/(m2 . sr . cm-1) haben kann.
3.1.2 Die Strahlungsübertragungsgleichung
Um die vom AVHRR empfangene Strahldichte für verschiedene Zustände der Atmosphäre zu simulieren bzw. Nettostrahlungsflußdichten an der Ozeanoberfläche zu berechnen, muß die Strahlungsübertragungsgleichung  (11) gelöst werden. Diese beschreibt die Veränderung der monochromatischen Strahldichte entlang eines optischen Wegelementes:
dIn          w0n  integral  2p integral  p       '  '      '  '      '  '  '
dt--= - In + 4p--       Pn(h, f,h ,f ) . In(h ,f) . sin h dh df + (1 - w0n) . Bn(T)
  n               0   0
(11)
Hierbei bedeuten:
dtn = kexn.r.ds: die optische Dicke entlang des Weges ds für ein Medium der Dichte r und mit dem spektralen Massenextinktionskoeffizienten kexn,
w0n = kscn/kexn : die single scattering albedo, d.h. das Verhältnis aus spektralem Streu - und Extinktionskoeffizienten. Daher gilt 0 < w0n < 1.
h   = Zenitwinkel (0 < h < p)
f   = Azimutwinkel (0 < f < 2p)
Pn   = spektrale Streufunktion, welche den relativen Anteil eines aus der Richtung (h', f') einfallenden und in Richtung (h, f) gestreuten Strahles an der Gesamtstreuung beschreibt
Bn(T)   = PLANCKsche Funktion (Gleichung 3)
Die Gleichung (11) zeigt, daß die Strahldichteänderung durch drei Terme beschrieben wird:
  -
Schwächung durch Absorption und Streuung,
  -
Verstärkung durch Strahlung, die durch Streuung aus allen anderen Richtungen in die Richtung (h, f) gelenkt wird, und
  -
Verstärkung durch thermische Emission der Schicht dt .

Eine analytische Lösung der Gleichung (11) ist nicht möglich (GRASSL, 1978). Es muß deswegen ein numerisches Verfahren benutzt werden, das alle drei Terme berücksichtigen kann.

3.2 Die Matrix-Operator-Methode

Ein Rechenverfahren, das die oben gestellten Anforderungen erfüllt, ist die Matrix-Operator-Methode. Gegenüber anderen Verfahren wie der Monte-Carlo-Methode (PLASS und KATTAWAR, 1968) oder dem successive order of scattering (NAGEL et al., 1978) hat sie den Vorteil, auch optisch dicke Medien wie Wolken ohne großen Rechenzeitaufwand behandeln zu können. Die erste vollständige Darstellung dieser Methode lieferten PLASS et al. (1973).
Die Abhängigkeit der Strahldichten vom Azimutwinkel f ist für kurzwellige Sonnenstrahlung im allgemeinen nicht vernachlässigbar. Wenn aber optisch dicke Medien wie die hier untersuchten Wolken behandelt werden, ist selbst für stark gerichtet einfallende Strahlung bei deren Austritt aus einer Wolke wegen der vielen Streuprozesse nur noch eine vergleichsweise geringe Azimutabhängigkeit vorhanden (GRASSL, 1978). Im langwelligen Spektralbereich kann in planparallelen Medien wegen der Isotropie der Quellfunktion (PLANCKsche Funktion) die Azimuthabhängigkeit immer vernachlässigt werden.
Die in dieser Arbeit verwendete Programmversion für den langwelligen Spektralbereich von 200 bis 2300 cm-1 wurde von GRASSL (1978) entwickelt und von MEERKÖTTER (1983), OLESEN (1984) und SCHLÜSSEL (1986) für die Simulation von Satellitenmessungen angepaßt. Das Rechenschema wird ohne prinzipielle Änderungen übernommen, so daß auf eine nähere Beschreibung verzichtet werden kann.
3.2.1 Zenitwinkeleinteilung
Eine Integration über den Zenitwinkel der Form  integral f(cos h) . sin hdh, wie sie sowohl bei der Normierung der Phasenfunktion als auch bei der Berechnung der Strahlungsflußdichten auftritt, ist durch die Substitution m = cos h einfacher zu behandeln. Mit konstanten Intervallbreiten für m statt für h läßt sich dann der Ausdruck  integral f(m)dm numerisch leicht annähern. Die Tabelle 2 gibt die im Modell gewählte Einteilung des Zenitwinkels an.







Nummer
1
2
3
4
5
h[o]
25.84
45.57
60.00
72.54
84.26
cos h
0.9
0.7
0.5
0.3
0.1






 
Tabelle 2: Die fünf im Modell berücksichtigten Zenitwinkel.


Die verschiedenen Zenitwinkel berücksichtigen die Zunahme des optischen Weges einer schräg durchstrahlten Schicht in einer planparallelen Atmosphäre, aber natürlich nicht die zusätzliche Wegverlängerung in einer kugelförmigen Atmosphäre. SCHLÜSSEL (1986) weist darauf hin, daß bei Vergleichen von Modellrechnungen mit Satellitenmessungen die Näherung einer planparallelen Atmosphäre für Zenitwinkel größer als 30o nicht mehr befriedigend ist. Deswegen wird im weiteren Verlauf der Arbeit für die theoretischen Abschätzungen nur der dem Nadir nächstgelegene Strahl Grundlage der Berechnungen sein.
3.2.2 Spektrale Auflösung
Im Strahlungsübertragungsmodell wird zunächst über die Höhe und den Zenitwinkel, anschließend über die Wellenlänge integriert. Alle Parameter müssen deswegen spektral vorgegeben werden. Jede monochromatische Strahlungsrechnung ist dabei stellvertretend für ein spektral endliches Intervall gedacht, damit z.B. Messungen eines Radiometers simuliert bzw. spektral integrierte Strahlungsflußdichten berechnet werden können. Bei der Wahl der Breite dieser Intervalle muß beachtet werden, daß die optischen Parameter von Wolken, Gasen und Aerosolen teilweise stark wellenlängenabhängig sind und auch die Filterfunktionen des AVHRR kräftig von Rechteckfunktionen abweichen. Eine möglichst feine Unterteilung ist deswegen anzustreben. Aus Rechenzeitgründen ist jedoch ein Linie-für-Linie Modell unmöglich und auch nicht erforderlich. Testrechnungen ergaben, daß die hier gewählte spektrale Einteilung, dargestellt in Tabelle 3, im Rahmen der unsicheren Wolkenparameter (siehe Kapitel 4) bei vertretbaren Rechenzeiten eine ausreichende Genauigkeit bietet. Die Abbildung 4 zeigt die Näherung der AVHRR-Filterfunktionen für den simulierten Spektralbereich.
Abbildung 4: Darstellung der mit dem Maximalwert normierten Filterfunktionen ~
f(n) der AVHRR-Kanäle 3, 4 und 5 von NOAA-9.
Durchgezogene Linien: Angaben der NOAA (LAURITSON et al. 1979).
Gestrichelte Linien: im Strahlungsübertragungsmodell verwendete Näherung durch eine Treppenfunktion.


Zur Berechnung der von Wolken verursachten langwelligen Nettostrahlungsflußdichteänderungen an der Ozeanoberfläche wird eine weitere Modellversion mit etwas groberer Unterteilung für den Spektralbereich 200cm-1 bis 2300cm-1 bereitgestellt. Ohne großen Fehler können Wellenzahlen kleiner als 200cm-1 vernachlässigt werden, da die atmosphärischen Gase (H 2O, CO2 ) dort schon auf kurzen Wegstrecken nahezu vollständig absorbieren und wieder emittieren, so daß dieser Bereich keinen Einfluß auf die Nettostrahlungsflußdichten in der Troposphäre hat (RETALLACK, 1973). Spektrale Strahlungsflußdichten bei Wellenzahlen über 2300 cm-1 liefern für einen Körper der Temperatur 273 K weniger als 0.7 % derer im Maximum bei 535 cm-1 und werden deswegen ebenfalls vernachlässigt.




Kanal
Grenzen [cm-1]
Intervallbreite [cm-1]
Anzahl der Intervalle




3
2515 - 2895
30
13
4
860 - 1000
10
14
5
790 - 890
10
10
200 - 2300
50 - 100
23




 
Tabelle 3: Spektrale Intervalle des Strahlungsübertragungsmodells für die Simulation von Satellitenmessungen (oberer Teil) und für Nettostrahlungsflußdichten


3.2.3 Unterteilung der Atmosphäre
Als untere Berandung des Atmosphärenmodells wird eine ebene Wasseroberfläche angenommen, deren spektrales Verhalten durch den komplexen Brechungsindex von reinem Wasser (DOWNING und WILLIAMS, 1975) gegeben wird. Nach einer Untersuchung von HOBSON und WILLIAMS (1971), die das spektrale Reflexionsvermögen Rn verschiedener Seewasserproben mit dem reinen Wassers verglichen, ist das für Ozeanoberflächen im Spektralbereich 5000 - 1200 cm-1 ohne nennenswerten Fehler erlaubt. Im Bereich 1200 - 700 cm-1 betragen die Abweichungen zwischen dem Reflexionsvermögen reinen Wassers und dem einiger Proben bis zu 10%. Für ein wahres Rn von 0.01 (bei n = 1000cm-1) bedeutet die Verwendung des Wertes 0.011 aber nur einen Fehler von 0.1% in der vom Wasser emittierten Strahldichte. Darum darf hier der Brechungsindex von reinem Wasser verwendet werden.
Die über der Wasserfläche liegende Atmosphäre wird in 20 - 26 homogene Schichten eingeteilt. An den Schichtgrenzen werden die Werte für Luftdruck, Lufttemperatur, Dichte der trockenen Luft, Wasserdampfdichte, Ozondichte sowie die optischen Dicken von Aerosolen und Wolken vorgegeben. Letztere beziehen sich auf eine Referenzwellenlänge, hier c = 0.55mm. Die mittleren Parameter jeder Schicht werden durch lineare Interpolation der Werte an den Schichtgrenzen berechnet. Der Außenrand der Atmosphäre, d.h. die oberste Schichtgrenze, liegt bei 30 km. Ein Beispiel einer Modellatmosphäre findet man in Anhang (Tab. 2).
Zur Lösung der Strahlungsübertragungsgleichung (11) müssen für jede homogene Atmosphärenschicht die spektralen Extinktionsparameter berechnet werden. Die Grundlagen hierfür werden in den nächsten beiden Kapiteln beschrieben.

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