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7 Meeresoberflächentemperatur

Die Kenntnis der Temperatur der Meeresoberfläche (SST) ist für die Berechnung von Strahldichten im Infrarotbereich, welche über halbdurchlässigen Wolken für Satelliten meßbar sind, von entscheidender Bedeutung. Zusammen mit dem Emissionsvermögen bestimmt sie die emittierte Strahlungsflußdichte. In den Kapiteln 3 und 5 wurde gezeigt, daß Variationen des Emissionsvermögens vernachlässigt werden können. Dagegen bewirkt schon die Veränderung der Wassertemperatur von 7o C auf 8o C, daß sich die emittierte spektrale Strahldichte bei n = 1000 cm-1 um knapp 2% erhöht. Eine möglichst genaue Kenntnis der SST ist also erforderlich.

7.1 Split-window - Methode

Die Fernerkundung der SST aus AVHRR-Daten geschieht mit der split-window - Methode. Sie beruht auf den Messungen der Kanäle 4 und 5, die beide im großen langwelligen Fenster liegen. Bei unbewölkten Atmosphären gibt die Helligkeitstemperatur des Kanals 4 in erster Näherung schon die Oberflächentemperatur wieder. Die Atmosphäre modifiziert die Strahlung aber auch in diesem Spektralbereich, was hauptsächlich auf den Wasserdampf zurückzuführen ist. Dabei ist dessen Transmission im Spektralbereich des Kanals 5 (~ 12mm) geringer als im Kanal 4 (~ 11mm). Der Einfluß des Wasserdampfes auf die Strahlungsübertragung kann darum durch die Differenz der Helligkeitstemperaturen dieser beiden Kanäle (T4 - T5) berücksichtigt werden. Ein Ansatz der Form
SST  = a0 + a1 . T4 + a2 . (T4 - T5)
(20)
kann so mit einem Standardfehler von 0.5 - 1 K für globale Anwendung erstellt werden. In der Literatur existieren verschiedene Algorithmen zur Bestimmung der Wasseroberflächentemperatur aus Satellitenmessungen im Infrarotbereich (z.B. McCLAIN et al. 1983; LLEWELLYN-JONES et al. 1984; SCHLÜSSEL et al. 1987). Dabei wurden die Verfahren auf unterschiedliche Weise entwickelt. Während McCLAIN et al. Wassertemperaturmessungen von Driftbojen mit dazugehörigen Satellitenbildern vergleichen, benutzen SCHLÜSSEL et al. Ergebnisse von Strahlungsübertragungsrechungen mit vorgewählter SST, die mit radiometrischen Temperaturmessungen der Ozeanoberfläche validiert wurden. Daraus folgen unterschiedliche Koeffizienten zur SST - Bestimmung mit dem AVHRR. Die Bojen liefern Temperaturen aus etwa 1 m Wassertiefe (sogenannte bulk- Temperaturen). Ein Radiometer empfängt im Infrarotbereich dagegen nur Strahlung aus den obersten Mikrometern (skin) der ozeanischen Deckschicht. Diese von BRUCH (1940) postulierte Oberflächenhaut wurde bereits mehrfach untersucht (z.B. EWING und McALISTER, 1960; HINZPETER, 1967). SCHLÜSSEL et al. (1990) messen Differenzen bis zu ±1 K zwischen der skin - und bulk - Temperatur. EMERY und SCHLÜSSEL (1989) zeigen, daß bei einem globalen Vergleich die Temperaturen der mit Deckschichtmessungen und der mit Radiometern kalibrierten Algorithmen im Mittel um 0.6 K voneinander abweichen. Dabei werden, je nach Tageszeit, im Mittel 0.11-0.3 K durch den Temperaturunterschied skin - bulk verursacht (SCHLÜSSEL et al., 1990).
Diese globalen Algorithmen sind natürlich auch in polaren Regionen zur Bestimmung der SST aus AVHRR-Daten geeignet. Da ihre Koeffizienten für Gleichung (20) aber auch tropischen Bedingungen genügen müssen, sind die Fehler in Polargebieten größer als bei der Benutzung eines nur lokal gültigen Verfahrens. Deswegen wird hier ein split-window- Algorithmus erstellt, der speziell an die polaren Regionen angepaßt ist, aber weiterhin auf Gleichung (20) basiert. Dies geschieht mit Hilfe eines weiteren von SCHLÜSSEL zur Verfügung gestellten Strahlungsübertragungsprogramms.

7.2 Modellaufbau

Die split-window - Methode kann nur den Einfluß des Wasserdampfes berücksichtigen. Wolken, die das Strahlungsfeld kräftig modifizieren, dürfen deswegen bei der SST-Bestimmung nicht betrachtet werden. Streuprozesse in unbewölkten Atmosphären können im Spektralbereich c > mm aber vernachlässigt werden.
Das verwendete Strahlungsübertragungsprogramm vereinfacht sich deswegen gegenüber dem Programm der Matrix-Operator-Methode hauptsächlich in den beiden folgenden Punkten:
  -
Keine Berücksichtigung der Streuung, d.h.: Transmission = 1 - Absorption
  -
Berechnung eines einzelnen Strahlengangs in Abhängigkeit vom gewünschten
Radiometerblickwinkel

Die Behandlung der anderen Prozesse (Transmissionsfunktion der Gase, Berechnung der Helligkeitstemperaturen usw.) erfolgt in beiden Modellen im Prinzip gleich. Lediglich die zusätzliche Wegverlängerung bei geneigtem Blickwinkel in einer kugelförmigen Atmosphäre gegenüber einer planparallelen wird nur vom Modell 'ohne Streuung' berücksichtigt.

Wie SCHLÜSSEL (1986) zeigt, kann der Gesamtfehler in der Ableitung der SST mit Hilfe der Informationen, die das HIRS über das aktuelle Temperatur-Feuchteprofil der Atmosphäre liefert, auf unter 0.3 K gesenkt werden; jedoch ist dieses Verfahren für die hier gestellte Aufgabe zu aufwendig.
Um die Bedingungen der polaren Grenzschicht statistisch ausreichend nachzubilden, wird hier ein Datensatz von Radiosondenmeldungen verwendet, in denen die Lufttemperaturen in 10 m Höhe immer unter 5oC betragen. Grundlage sind Messungen des Wetterschiffs M und der Station Jan Mayen bei Kaltluftausbrüchen sowie einiger anderer Stationen bei unterschiedlichen Wetterbedingungen (DWD, 1990). Insgesamt bilden 89 verschiedene pTF - Profile die Grundlage der Simulationsrechungen.

7.3 Randbedingungen für die Regression

Die Bestimmung der Koeffizienten für Gleichung (20) geschieht auf folgende Weise. Jeder Modellatmosphäre wird ein zufälliger SST-Wert zugeordnet, für den aber die folgenden Randbedingungen gelten:
  1. )     SST > TL(10 m) , weil dies für Kaltluftausbrüche typisch ist;
  2. )     0oC < SST < 15oC, da dies der hier interessierende Wassertemperaturbereich ist;
  3. )     SST - TL (10 m) < 12oC, falls dabei SST > 0oC bleibt

Die 3. Bedingung soll unrealistisch große Temperaturdifferenzen zwischen Luft und Wasser verhindern. TL(10 m) ist die Lufttemperatur in 10 m Höhe. Der gewählte Maximalwert von 12oC ist BAKAN und SCHWARZ (1988) entnommen.
Mit dem Strahlungstransportmodell werden für jedes Atmosphärenprofil die Strahldichten der Kanäle 4 und 5 berechnet, so daß als Ergebnis ein Datensatz mit 89 verschiedenen Oberflächentemperaturen und den zugehörigen Helligkeitstemperaturen entsteht. Daraus werden die Koeffizienten der Gleichung (20) durch multiple lineare Regressionsrechnungen bestimmt. Die Tabelle 4 im Anhang gibt diese für das AVHRR der Satelliten NOAA-9 und NOAA-11 in Abhängigkeit von verschiedenen Radiometerblickwinkeln an. Für die Nadirrichtung zeigt Abbildung 10 die Differenz der vorgegebenen SST zu der über die Regressionsgleichung (20) berechneten.


Abbildung 10: Differenzen zwischen den vorgegebenen und den über Gleichung (20) bestimmten Wasseroberflächentemperaturen für die Nadirblickrichtung.


Der Standardfehler beträgt 0.5oC. Dieser Fehler enthält bereits die durch Radiometerrauschen verursachten Ungenauigkeiten, da vor der Regressionsrechnung zu den Helligkeitstemperaturen der Kanäle 4 und 5 zufällige Werte mit dem Mittelwert 0 K und der Standardabweichung 0.12 K addiert wurden. Dieses Verfahren ist an SCHLÜSSEL (1986) angelehnt, wobei die von KIDWELL (1988) angegebene Genauigkeit der AVHRR - Kanäle NE DT = 0.12 K benutzt wird. Dadurch unterscheiden sich auch die Koeffizienten ai von denen, die sich bei Vernachlässigung des Radiometerfehlers ergeben.
Bei polaren Kaltluftausbrüchen sind größere Zonen unbewölkter Pixel auch in Gebieten offener Zellularkonvektion selten. Deswegen müssen auch einzelne Pixel zur Bestimmung der SST benutzt werden. Auf solche Einzelmessungen sind die in Tabelle 4 (Anhang) angegebenen Koeffizienten eingestellt. Bei größeren wolkenfreien Regionen kann der Fehler durch Mittelung der einzeln berechneten Oberflächentemperaturen natürlich unter 0.5oC gesenkt werden.

7.4 Behandlung bewölkter Gebiete

Für bewölkte Gebiete gibt es kein Verfahren zur Fernerkundung der SST aus Infrarotmessungen. Zur Analyse eines bewölkten Pixels muß die Oberflächentemperatur aus den Werten der Umgebung geschätzt werden. Dies geschieht hier einfach durch lineare Interpolation der nächstgelegenen wolkenfreien Pixel. Dabei bleibt aber der Einfluß der Bewölkung auf die skin - Temperatur unberücksichtigt. Messungen von SCHLÜSSEL et al. (1990) zeigen, daß die Differenz zwischen der skin - Temperatur und der in 2 m Wassertiefe in stark bewölkten Situationen (6 bis 8 Achtel) geringer ist als bei weniger bewölkten (0 bis 5 Achtel). Unter der Annahme, daß die Temperatur in 2 m Tiefe nichts vom aktuellen Bedeckungsgrad weiß läßt dies auf eine höhere SST in stark bewölkten Gebieten schließen. Die von Wolken verursachte zusätzliche Gegenstrahlung vermindert den skin - Effekt. Diese Differenzen sind aber u.a. von der Tageszeit und der Windgeschwindigkeit abhängig. Die von SCHLÜSSEL et al. (1990) angegebenen Mittelwerte unterscheiden sich für die beiden Bewölkungsklassen nur um etwa 0.1 K, wobei die Standardabweichung für die Temperaturdifferenz bulk - skin etwa 0.17 K beträgt. Der durch Bewölkung veränderte skin - Effekt wird deswegen hier nicht berücksichtigt.

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