Die Fernerkundung der langwelligen Nettostrahlungsflußdichten an der Ozeanoberfläche von
Satelliten aus erfordert in bewölkten Situationen eine möglichst genaue Abschätzung der
Temperatur der Wolkenbasis. In Situationen polarer Kaltluftausbrüche ist der Wolkeneinfluß auf
die abwärts gerichteten Strahlungsflußdichten wegen des niedrigen Wasserdampfgehaltes der
unteren Atmosphäre und der geringen Wolkenhöhen besonders groß. So erhöht sich diese
Strahlungsflußdichte bei einer Anhebung der Wolkenbasistemperatur um 1oC typischerweise um
1.7 bis 2.2W/m2.
In dieser Arbeit wurde mit Hilfe eines Strahlungsübertragungsmodells gezeigt, daß für
Situationen mit konvektiver Bewölkung über dem Ozean die Temperatur der Wolkenbasis
allein aus AVHRR-Daten abgeleitet werden kann. Für Tag- und Nachtüberflüge sind
dazu unterschiedliche Verfahren entwickelt worden. Die statistische Auswertung der
Modellergebnisse ergibt für das Nachtverfahren einen Standardfehler kleiner als 2oC und für das
Tagverfahren kleiner als 4oC. Anwendungen dieser theoretisch abgeleiteten Verfahren auf
Meßdaten des AVHRR liefern Wolkenbasistemperaturen, die bei Vergleichen mit den aus
Radiosondenmessungen bestimmten Temperaturen des Hebungskondensationsniveaus für das
Nachtverfahren ebenfalls Standardabweichungen kleiner als 2oC zeigen. Mit dem
Tagverfahren wird nur ein Fallbeispiel ausgewertet, wobei die Abweichungen zwischen
Satelliten- und Radiosondentemperaturen innerhalb des vorhergesagten Rahmens
liegen.
Der Vorteil des Nachtalgorithmus gegenüber dem Verfahren bei Tage liegt vor allem in der
Auswertung des bei 3.7m liegenden AVHRR-Kanals, der tagsüber wegen des Zusammenspiels
von reflektierter Sonnenstrahlung und thermischer Emission nicht sinnvoll benutzt werden kann.
Die technisch bedingte zeitweise schlechte Qualität seiner Daten kann durch einen
Korrekturalgorithmus verbessert werden, wobei aber nicht die Güte der anderen Infrarotkanäle
erreicht wird.
Als Voraussetzung für eine Bestimmung der Basistemperatur erweist sich eine sorgfältige
Auswahl der zu analysierenden Bildelemente. Mit Hilfe von Quotienten der spektralen
Strahldichten aus den drei infraroten AVHRR-Kanälen ist es möglich, vollständig mit
semitransparenten Wolken gefüllte Pixel zu erkennen. Für diese Wolken kann eine
Klasseneinteilung bezüglich ihrer optischen Dicke vorgenommen werden, weil sie noch meßbare
Strahlung der Ozeanoberfläche zum Satelliten durchlassen.
Die Temperatur der Wasseroberfläche muß als Randbedingung bekannt sein. Dies reduziert
die Anwendbarkeit der Verfahren auf Gebiete mit durchbrochener Bewölkung, weil
dort die Fernerkundung der SST in wolkenfreien Pixeln möglich ist. Hierfür wird ein
split-window - Algorithmus an die winterlichen Verhältnisse der mittleren und hohen Breiten
angepaßt.
Einige Abschätzungen des Einflusses von polaren Grenzschichtwolken auf die langwelligen
Strahlungsflußdichten an der Ozeanoberfläche zeigen, daß die abwärts gerichtete Komponente
bei Kaltluftausbrüchen und Anwesenheit niedriger Wolken bis zu 90 W/m2 größer ist als bei
klarem Himmel. Auf eine Änderung der Wolkenbasistemperatur reagieren die Beiträge aus dem
Spektralbereich des langwelligen Fensters (8 - 13 m) am stärksten, jedoch liegen die
Veränderungen des Anteils von den Regionen außerhalb dieses Bereiches in der gleichen
Größenordnung. Eine Unsicherheit von 20C in der Bestimmung der Wolkenbasistemperatur
bedeutet für die Fernerkundung der langwelligen Nettostrahlungsflußdichte an der
Ozeanoberfläche einen Variationsbereich von weniger als 5 W/m2.
Die hier angegebenen Genauigkeiten in der Bestimmung der Wolkenbasistemperatur sind aber
nur durch räumliche Mittelungen über Gebiete von etwa 50 * 50 km zu erreichen; die
Auswertung einzelner Pixel zeigt dagegen eine deutlich höhere Schwankungsbreite. Dies liegt
zum einen an der eindimensionalen Struktur des verwendeten Strahlungsübertragungsmodells.
Die damit modellierten planparallelen Wolken sind für die teilweise stark strukturierten
Grenzschichtwolken eine zu starke Vereinfachung. Zum anderen standen für die Modellierung
keine Messungen von Tropfengrößenspektren polarer Cumuli zur Verfügung. In Einzelfällen
werden die tatsächlichen Wolkentropfengrößenverteilungen so weit außerhalb des modellierten
Bereiches liegen, daß größere Differenzen in den abgeleiteten Temperaturen unvermeidbar
sind.
Die Messungen solcher Spektren bei zukünftigen Feldexperimenten in Gebieten polarer
Kaltluftausbrüche gibt die Chance zur Entwicklung von Algorithmen, die aus Fernerkundungsdaten
einen Rückschluß auf die Mikrostruktur der betrachteten Wolken zulassen. Damit ergibt sich die
Möglichkeit solche Wolken zu erkennen, die sich stark vom hier modellierten Bereich
unterscheiden. Die verschiedenen Fernerkundungsverfahren können dann besser an die
Wolkentypen angepaßt werden, wodurch deutlich geringere Fehler in den abgeleiteten
Parametern zu erwarten sind.