Logo 
zurück
Dr. Christoph Vogt

Dissertation: Zeitliche und räumliche Verteilung von Mineralvergesellschaftungen in spätquartären Sedimenten des Arktischen Ozeans und ihre Nützlichkeit als Klimaindikatoren während der Glazial/ Interglazial-Wechsel

Berichte zur Polarforschung, Vol. 251: 309 p., Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven
 
            Kurzfassung
            Abstract (English)
            Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
            Literaturliste

Kurzfassung

Das System Arktischer Ozean spielt eine entscheidende Rolle in der Klimaentwicklung der Erde. Die Ausdehnung der Meereisbedeckung, ihre Wechselwirkung mit den Wassermassen des Arktischen Ozeans und der Atmosphäre gelten als sehr sensibel gegen klimatische Veränderungen. Gleichzeitig beeinflußt der Arktischen Ozean über den Export von kalten, polaren Wassermassen die globale ozeanographische Zirkulation. Der Arktische Ozean wurde und wird von den großen Eisschilden der Nordhemisphäre umgeben, deren Entwicklung nicht nur direkt auf die Sedimentation im Arktischen Ozean einwirkt, sondern auch eine Steuerfunktion im Wechsel von Glazialen und Interglazialen einnimmt. Das über die Eisschilde und von ihnen freigesetzte Eisberge und Schmelzwässer sowie über Meereis in den Arktischen Ozean abgegebene terrigene Material bildet einen Hauptbestandteil der Sedimente im Arktischen Ozean. Der terrigene Anteil der arktischen Sedimente stellt also ein hervorragendes Archiv dar, um Paläoumweltbedingungen zu rekonstruieren.

Glazigene Ablagerungen des Kanadischen Arktischen Archipels und Oberflächensedimente des Arktischen Ozeans und der sibirischen Schelfgebiete wurden röntgendiffraktometrisch mit dem Schwerpunkt Gesamtmineralogie untersucht. Ziel war es, die Herkunftsgebiete des terrigenen Materials anhand ihrer spezifischen Mineralvergesellschaftung zu charakterisieren. Hierfür bietet die komplexe zirkumpolare Geologie, die von stabilen kristallinen Schilden über ehemalige und aktive Faltengürtel mit metamorphen, magmatischen Gesteinskomplexen und unveränderten mesozoischen bis känozoischen Sedimentgesteinen bis zu ausgedehnten Tundratiefebenen unter Permafrosteinfluß reicht, vielfältige Möglichkeiten. In den nicht vergletscherten Regionen kommt den ausgedehnten Schelfgebieten eine erste Misch- und Ausgleichsfunktion zu, die lokal stark begrenzte, spezifische Mineralvergesellschaftungen dem Gesamtbild des Schelfgebietes untermischt.

In einem ersten Schritt wurde eine Literaturrecherche mit dem Zweck gestartet, aus den entsprechenden Gesteinsbeschreibungen auf die Ausgangsmineralogie zu schließen. Die Sedimentanalysen der Schelfgebiete und glazigenen Sedimente ergaben eine große Übereinstimmung mit den entsprechenden Gesteinszusammensetzungen der benachbarten Liefergebiete. Einer der größten Unterschiede zwischen den zirkumarktischen Liefergebieten ist das weitreichende Vorkommen karbonatischer Sedimentgesteine im Kanadischen Arktischen Archipel und auf Nordgrönland gegenüber weitestgehend siliziklastischen Gesteinen in den sibirischen Schelfgebieten.

Unter den sibirischen Schelfgebieten treten die westliche Laptew-See und die östliche Kara-See mit hohen Gehalten der Tonmineralgruppe Smektit und von (Klino-) Pyroxenen und Plagioklas hervor. Als Quelle für diese Minerale dienen die ausgedehnten sibirischen Flutbasalte, die im Süden der Taimyr-Halbinsel das Plateau des Putorana-Gebirges bilden und durch die Nebenflüsse des Jenissej und Khatanga entwässert werden. Dagegen können die östliche Laptew-See und die Ostsibirische-See zu einer Lieferregion zusammengefaßt werden. Hier dominieren Quarz, Feldspäte, Glimmer sowie die Tonmineralgruppen Illit und Chlorit, während die Klinopyroxengehalte zugunsten von Hornblende und Epidot zurücktreten. Franz-Josef-Land bringt eine Quarz- und Kaolinit-reiche Mineralvergesellschaftung ein, während spezifische Mineralvergesellschaftungen kristalliner, und karbonatischer Gesteine sowie von Sedimentgesteinen höherer Reife auf Svalbard als Liefergebiet zurückzuführen sind.

Ein Profil von Sedimentkernen, die auf der "Polarstern"-Expedition ARK-VIII/3 (ARCTIC´91) im westlichen Eurasischen Becken gewonnen wurden, sowie weitere Sedimentkerne aus der Umgebung Svalbards wurden bearbeitet, um die Entwicklungen der letzten 30.000 Jahre, dem Übergang von hochglazialen Bedingungen zum heutigen Interglazial, zu rekonstruieren. Die Rekonstruktion basiert neben der Mineralogie verschiedener Korngrößenfraktionen auf der Auswertung verschiedenster sedimentologischer und organo-geochemischer Parameter und der Erstellung einer möglichst hochauflösenden Stratigraphie. Auf diese Weise wird gezeigt, daß sich die Mineralvergesellschaftungen in Sedimenten des Eurasischen Beckens nicht erratisch sondern in Abhängigkeit von klimatischen Schwankungen verändern. Bestimmte Mineralvergesellschaftungen werden nicht nur mit einer Lieferregion, sondern auch mit einzelnen Transportprozessen verbunden, z.B. die Smektit- und Pyroxen-dominerte Vergesellschaftung mit einem Meereistransport aus der westlichen Laptew-See/ östlichen Kara-See. Daher ist es möglich, das komplexe Zusammenspiel zwischem dem Einstrom atlantischer Wassermassen im Südwesten des Eurasischen Beckens, dem Wachstum und Zerfall der Svalbard/Barents-See- und Kara-See-Eisschilde, der Flutung der flachen sibirischen Schelfregionen und der Entwicklung der Oberflächen- wie Tiefenwasserzirkulation zu entschlüsseln.

Das gesamte System ist wesentlich dynamischer als es bisher angenommen wurde. Rasche Wechsel des Einstroms warmen Wassers aus dem Süden (<1000 Jahre), kurze Ausdehnungs- und Rückzugsphasen der Eisschilde (1000-3000 Jahre) und kurzfristige Abschmelzereignisse (<100 Jahre?) deuten sich in der Mineralvergesellschaftung von Kernen rund um Svalbard an. Das Abschmelzen der marinen Kara- und Barents-See-Eisschilde und der Eisschilde über dem Kanadischen Arktischen Archipel und über N-Grönland ist nicht zeitgleich. Es wird postuliert, daß das Kara-See-Eisschild bereits bevor 15.000 Jahren (14C-Skala) ein erstes Schmelzwasserereignis erzeugt hat, ehe das Barents-See-Eisschild folgt. Die landgebundenen westlichen Eisschilde beginnen erst nach 13.500 14C-Jahren im Zuge der globalen Erwärmung während der Termination I verstärkt abzuschmelzen.

Im nördlichen Eurasischen Becken werden die Wechsel zwischen dem Eintrag von Eisbergmaterial und Meereismaterial aus dem Kanadischen Arktischen Archipel und N-Grönland und von Meereissediment und Strömungs-transportiertem Material von den sibirischen Schelfen aufgezeichnet. Dabei wird deutlich, daß die landgebundenen, westarktischen Eisschilde wesentlich später abschmelzen als die marinen, eurasischen Eisschilde und daß die Flutung der Laptew-See während des Holozäns anhand von Sedimentationsschüben entsprechenden Materials am Lomonosow-Rücken nachvollzogen werden kann. Auch werden Verschiebungen der Transpolar Drift in Abhängigkeit von Schmelzwasserpulsen der Eurasischen Eisschilde beobachtet.

Insgesamt zeigt diese Arbeit, daß die Bestimmung der Gesamtmineralogie unter Verwendung der hier vorgestellten, präparativ einfachen und von subjektiven Einflüssen unabhängigen Auswertemethodik einen großen Beitrag zum Verständnis des Systems Arktischer Ozean leistet und in Zukunft als Basisparameter verwendet werden kann, der zeitaufwendigeren und hochspezialisierten Bestimmungen der Sedimentzusammensetzung (z.B. Schwer- und Tonmineralogie) vorausgehen sollte.